Das Attentat auf Monde Mandela

Soweto

Stille. Dunkelheit. Leiser Lärm der nachtaktiven Insekten durchdringt die Ruhe. Moskitos schwirren durch belebte Räume auf der Suche nach rotem Blut. Graue Ratten durchwühlen die Berge aus Unrat entlang der Seitenstreifen der grauen Staubstraßen in Meadowlands. Die Nacht ist sternlos. Kakerlaken lecken Essensreste vom Geschirr und den Küchenwänden. Ein Skorpion unter einem Bruchstück Beton beobachtet die Bewegungen in der Dunkelheit. Eine Schlange zischelt irgendwo im ruinierten Buschland am Rande von SOWETO. An einer Kreuzung lodert ein Feuer in einem Metallcontainer. Männer stehen davor. Rauchen filterlose Zigaretten. Lucky Strike und selbstgedrehte. Rauchfahnen steigen von ihren Mündern auf. Hochspannungsleitungen durchziehen die Angst surrender Elektrizität. Nachtruhe im Transitlager am 6. Oktober 1990. Hochspannung. Nördlich – das Goldbergwerk Rand Leases.

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Abbildung 1: Johannesburg downtown

Ein lauter Knall zerfetzt die Stille. Die Nachbarin schrickt auf. Reibt sich die Augen. Ist verstört. Die Bettdecke rutscht vom Oberkörper auf den Schoß. Dunkelheit. Das Scharnier einer Tür knarrt. Einer Pforte? Trockener Staub unter einem Stiefel knirscht- draußen, an der Ecke, am nächsten Haus -gegenüber? Unruhe in der Nachbarswohnung. Schüsse peitschen heiser die Geräuschlosigkeit der Explosion aus der Erinnerung. Schreie gellen. Männlich. Kommandos! Die Angst einer Frau, nebenan. Das Dach ist fortgerissen. Flammen brechen die Dunkelheit zu Licht. Ein Mann stand im Hofeingang. Ein Gewehr in der Hand. Er schleuderte etwas in das Haus. Schüsse von der anderen Seite. Schwaches Licht erscheint in den anderen Häusern der Nachbarschaft. Monde und Susan stürzen aus dem brennenden Haus. Weitere Schüsse reißen Wunden ins Fleisch. Die Täter fliehen in die Dunkelheit.

Samstag, Morgens, 10 Uhr 30. Sefako Nyaka spricht mit Adelaide Mabophe. Tonlos redet sie vom Angriff auf das Nachbarhaus. Der Krankenwagen kam und brachte sie fort. Siyabulela? Sie ist tot. Sie schaut nach unten. Schweigt. Schwelendes Feuer frisst noch in den Regalen. Schwarzer Rauch steigt in dünnen erstickten Zügen auf. Das Dach wurde fortgerissen. Die verkohlten Balken sperren den Raum. Ein Nachbar schaut auf das Chaos. Der Hausrat ist durcheinandergewirbelt, wie durch einen Mixer gejagt. Die Scheiben eingeschmissen, von Kugeln durchstoßen, von der Hitze des Feuers geborsten. Die Verbindungswand zum Nachbarhaus ist eingerissen. Kinder schauen ängstlich durch die Öffnung. Siyabulelas verbrannter Hund liegt zwischen den Trümmern und weint. Die Frauen beginnen aufzuräumen.

Shack of Monde and Susan Mandela
Shack of Monde and Susan Mandela. Foto: © Ralf Gründer (Johannesburg/Berlin)

Wir fahren. Biege rechts ab, sagt Sefako. Dann erst einmal immer geradeaus. Ratthe fährt den Wagen des Stars vorsichtig durch die Straßen.

Baragwanath“ sagt Sefako.

Baragwanath! antwortet Ratthe. Sie werden uns nicht rein lassen, um mit den Opfern zu reden.

Aber wir kommen rein!

Wie? fragt Ratthe.

Winnie kommt! Zusammen mit anderen Familienmitgliedern. Zinzi, ihre Tochter, vielleicht. Wir werden es sehen. Du versteckst Deine Kameras. Nimm nur eine mit. Schwarz / Weiß; das reicht. Wir schließen uns der Gruppe an.

Du denkst, das funktioniert Sefako?

Ja. Winnie kennt mich. Sie sagt nichts. Sie brauchen Publicity. Das hier ist ein Skandal. Sie wollten einen Verwanden von Nelson umbringen.

Wer?

Vermutlich Inkatha. Zulu-Arbeiter aus dem Heim gegenüber. Niemand weiß genaues! Dennoch, ich bin sicher – Inkatha.

Phake Road, links Mofolo Central, rechts Bavu, dann Mofolu South. Fahr links in die Potchefstroom. Dann immer gerade aus auf der M 68.

Wir passieren Klipspruit. Nördlich von uns tauchen die riesigen Schornsteine des Orlando Kraftwerkes auf. Vor dem monströsen Koloß liegt das Orlando Meer. Qualm steigt auf. Dann die Behausungen der Belegschaft. Man erzählt, das sich Frauen für 5 Rand durch den Maschendraht begatten lassen. Baragwanath links. Taxis. Haltestellen. Massen von Menschen ziehen von einem Ort zu einem anderen. Eine Fußgängerbrücke verbindet die Zone 6 mit dem Krankenhaus. Östlich von uns verläuft der Baragwanath Drive, die Verbindung zum Golden Highway. Ich parke am Straßenrand. Wir warten.

Wird Winnie kommen?

Am Eingang zum Krankenhaus befinden sich graffitiartige Wandgemälde. Drei Kinder stehen neben einem mannshohen Lagerfeuer aus Autoreifen. Ein Junge in roten Hosen steht im Feuer und verbrennt. Rote Karotten mit afrikanischen Nasen grinsen im Mutterboden vor nähriger Gesundheit. Ein Schaubild unterrichtet Mütter im Anfertigen von oraler Dehydrationslösung zum Bekämpfen von Durchfall. Auf 1 Liter Wasser kommen 6 Kappen Zucker und 1,5 Kappen Salz. Fertig. Sefako grinst.

Wir geben uns Mühe, eure westlichen Erkenntnisse umzusetzen. Laut UNO, sagt er, sterben jährlich weltweit 15 Millionen Kinder im Alter unter 5 an leicht heilbaren Krankheiten. Diaröa hauptsächlich, miese sanitäre Lebensbedingungen tun das weitere. Nur wenig Wasser. Lebensmittelhygiene usw. Schau dich hier um und du verstehst, was ich meine.

Da ist Zinsi. Los jetzt!

Wir überqueren die Potchefstroom, folgen der Gruppe, passieren die Pförtnerloge und gelangen ins Krankenhaus. Sefako spricht mit Winnie. Sie nickt. Wir folgen. Meine weiße Haut strahlt wie ein berstender Stern in der Anonymität Schwarzafrikas. Das Kameragehäuse steckt in der Seitentasche am Bein meiner Hose. In der großen Brusttasche meines Hemdes das 28 mm Elmarit. Wir passieren endlose Gänge. Schattige Dunkelheit wechselt sich ab mit gleißendem Licht der Fenster. Formaliengeruch brandet die Nasen. Sitzbänke säumen die Flure. Menschen warten. Betten mit Patienten stehen zwischen den Wartenden. Stöhnen vermischt mit Schweigen und Gerede. Zeitungsseiten schlagen um. Sowetan. Daily Mirror. Weekly Mail. Verschlossene Türen. Hinweißschilder. Wir betreten ein Zimmer. Ein Bett. Zinsi steht neben ihrer Mutter. Monde Mandela. Bandagiert. Weiß. Blut sickert am rechten Schulterverband durch. Die Kopfhaut – verbrannt. Rußig.

Monde Mandela im Baragwanath Krankenhaus
Monde Mandela nach dem Attentat im Baragwanath Krankenhaus,. Foto: Ralf Gründer (Johannesburg/Berlin)

Monde Mandela erhielt während der vergangenen Wochen mehrfach anonyme Morddrohungen. Die Familie lebte vom Handel. Die Attentäter schrieben, das sie keine Angst hätten vor ihm. Es kümmere sie nicht, dass er ein Enkelsohn von Phillemon, einem verstorbenen Bruder von Nelson Mandela sei. Monde reagierte nicht. Tage später peitschten Schüsse durch die Nacht. Eine Handgranate explodierte. Er raste aus dem Bett. Schrie, nehme das Baby Susan und lauf. Weitere Schüsse krachten. Etwas explodierte. Er griff nach einer Handgranate auf dem Boden. Schleuderte sie zurück aus dem Fenster. Sie explodierte nur wenige Meter vor ihm. Sofort brannte er lichterloh. Susan griff das Baby. Panisch – stürzte nach draußen in den Hinterhof. Kroch unter den Bakkie. Versteckte sich. Das Baby im Arm. Siyabulela schrie. Ein bewaffnete Mann feuerte Schüsse in ihre Richtung. Eine Kugel durchschlug Susans Hand, die Siyabulelas Kopf hielt. Siyabulela war sofort tot. Die Nachbarn wachten auf. Schlugen Alarm. Die Mörder flohen. Die Polizei nahm niemanden fest. Es gab keine Tatverdächtigen, meldete der verantwortliche Offizier. Susan verlor Siyabulela. Vom Tropf rinnt ein Beruhigungsmittel in ihr Blut. Sefako gibt Ratthe ein Zeichen. Sie gehen. Endlose Gänge voller Schatten und Stöhnen. Sonnenlicht- draußen? Der Wagen startet in Richtung Onkel Charlies Komplex, dann N13 Richtung Osten.

Susan Mandela im Baragwanath Hospital
Susan Mandela verlor beim Anschlag ihr Baby Siyabulela. Foto: © Ralf Gründer (Johannesburg/Berlin)

Halte dich nördlich, nimm die N1 Richtung Johannesburg. Der Wagen schnellt davon. Sefako lehnt sich zurück; schläft.

Text und Fotos: © Ralf Gründer

 

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